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Schadensersatz für mangelnde Zielvereinbarung und Zielvorgabe bei Bonusvereinbarung

  • Autorenbild: Arbeitsrechtskanzlei Aurel Welz
    Arbeitsrechtskanzlei Aurel Welz
  • 29. Juni
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 30. Aug.

Zum Zwecke der Motivation, als Anreiz für besondere Leistungen und zur Steuerung des Arbeitnehmerverhaltens enthalten Arbeitsverträge regelmäßig Bonusvereinbarungen, nach denen die Arbeitsvertragsparteien sich mit Blick auf die jeweilige Zielperiode (in der Regel das laufende Jahr) entweder beidseitig auf eine Zielvereinbarung verständigen wollen oder der Arbeitgeber bis zu einem bestimmten Datum einseitig eine Leistungsbestimmung nach "billigem Ermessen" treffen soll gemäß § 315 Abs. 1 BGB. Der Bonus macht insofern oft keinen unwesentlichen Teil der Gesamtvergütung aus, sondern im Gegenteil: Einen erheblichen Teil, auf den sich als Arbeitnehmer nicht einfach so verzichten lässt, und den man als Arbeitgeber natürlich nur dann zahlen will, wenn es sich wirtschaftlich auch lohnt.


Bei Zielvereinbarungen werden nach den vertraglichen Regelungen die Ziele, von deren Erfüllung die Bonuszahlung abhängt, von den Arbeitsvertragsparteien gemeinsam festgelegt (BAG, Urteil vom 17.12.2020 - 8 AZR 149/20, Rn. 37). Den Arbeitgeber (m/ w/ d) trifft insofern regelmäßig die Pflicht, dem Arbeitnehmer (m/ w/ d) Verhandlungen anzubieten. Diese dürfen nicht lediglich pro forma erfolgen, sondern es muss tatsächlich die Möglichkeit vorhanden sein, dass das erste Angebot der Arbeitgeberseite durch einen Gegenvorschlag der Arbeitnehmerseite noch beeinflusst werden kann. Ansonsten läuft die Arbeitgeberseite Gefahr, ihre Nebenpflichten gegenüber dem Arbeitnehmer zu verletzen und sich in der Folge schadensersatzpflichtig zu machen.


Von Zielvorgaben spricht man demgegenüber, wenn die Vorgabe von Zielen nur einseitig nach billigem Ermessen durch den Arbeitgeber getroffen wird (BAG, Urteil vom 17.12.2020 - 8 AZR 149/20, Rn. 37). Die Arbeitgeberseite muss in diesem Fall von selbst auf den Arbeitnehmer zukommen und einseitig eine Vorgabe machen, die billigem Ermessen entspricht. Wenn die Vorgabe gar nicht erreichbar ist, entspricht sie nicht billigem Ermessen. Dann treten im Ergebnis - wenn ab einem bestimmten Zeitpunkt eine Zielvorgabe jeden Sinn verliert - dieselben Rechtsfolgen in Kraft wie, wenn gar keine Zielvorgabe seitens der Arbeitgeberseite erfolgt wäre. Oft ist für die Zielvorgabe im Arbeitsvertrag ein bestimmtes Datum im ersten Quartal vorgesehen, bis zu dem sie spätestens erfolgen soll. Wenn sie jedoch unterbleibt, kann sich der Arbeitgeber dadurch wiederum gegenüber dem Arbeitnehmer schadensersatzpflichtig.


In der Arbeitswelt tritt relativ häufig der Fall auf, dass für die laufende Zielperiode nicht nur keine Ziele beidseitig vereinbart werden, sondern auch eine einseitige Zielvorgabe durch den Arbeitgeber gänzlich unterbleibt. In solchen Fällen wissen Arbeitnehmer oft nicht, wie sie sich verhalten sollen. Viele lassen erst einmal etwas Zeit verstreichen, weil sie meinen, es könne sich um ein Versehen handeln und die Arbeitgeberseite werde wegen der Ziele schon noch auf sie zukommen. Dann stellen sie kurz oder etwas später danach eine höfliche Anfrage - wenn hierzu eine Reaktion unterbleibt, stellt sich für sie doch sehr konkret die Frage, ob sie am Ende des Jahres trotz unterbliebener Zielvereinbarung oder Zielvorgabe - so wie bisher oder zumindest wie arbeitsvertraglich verabredet - einen Anspruch auf Bonuszahlung haben.


Der logische Widerspruch, dass eine Zielerreichung eigentlich nur dann wirklich sinnvoll geprüft werden kann, wenn vorher auch schon konkrete Ziele definiert wurden, lässt sich gedanklich nicht ohne Weiteres damit vereinbaren, dass man während der laufenden Zielperiode möglicherweise bereits Ziele erreicht hat, die einer solchen Vereinbarung oder Vorgabe entsprechen würden - wenn es kein Maß gibt, an dem gemessen werden kann, woran soll dann die für die Bonushöhe maßgebliche Leistung bemessen werden?


Bei pflichtwidrig unterlassener Zielvereinbarung oder Zielvorgabe kann regelmäßig ein Schadensersatzanspruch in der Höhe bestehen, der bei 100 % Zielerreichung bestanden hätte (das entspricht ständiger BAG-Rechtsprechung, vgl. für Zielvereinbarungen Urteil vom 12.12.2007 - 10 AZR 97/07 und für Zielvorgaben Urteil vom 19.02.2025 - 10 AZR 57/24). Die Rechtsprechung leitet dies daraus ab, dass Schadensersatzansprüche nach dem Willen des Gesetzgebers generell auch den entgangenen Gewinn umfasst, vgl. § 252 BGB.


Wichtig ist für Arbeitnehmer insofern vor allem: Die zügige Geltendmachung des Anspruchs auf Schadensersatz. Zwar verjähren Bonusansprüche und entsprechende Schadensersatzansprüche regelmäßig erst nach Ablauf von 3 Jahren nach Abschluss der jeweiligen Zielperiode. Berücksichtigen müssen Arbeitnehmer insofern jedoch unbedingt, dass sich in professionellen Arbeitsverträgen normalerweise eine wirksame Ausschlussklausel inklusive einer Ausschlussfrist für die außergerichtliche und gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen findet - diese beinhaltet normalerweise, dass der Anspruch erstmalig innerhalb von 3 Monaten nach seinem Entstehen außergerichtlich in Textform geltend gemacht werden muss. So kann es passieren (und so passiert es auch verhältnismäßig oft), dass als Datum der Zielvorgabe ein Termin im März des laufenden Jahres vorgesehen ist und der Arbeitnehmer in den darauf folgenden 3 Monaten versäumt, diesen Anspruch geltend zu machen. Hier stellt sich dann in der Folge die Frage, ob der Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers nicht bereits ausgeschlossen ist. Das hängt maßgeblich davon ab, wann die sogenannte "Fälligkeit" des Anspruchs vorliegt und ob eine Zielvereinbarung bzw. Zielvorgabe noch nachgeholt werden kann oder mittlerweile unmöglich geworden ist. 


Diese Frage nach der Unmöglichkeit des Nachholens hat das Bundesarbeitsgericht kürzlich in seinem Urteil vom 19.02.2025 - 10 AZR 57/24 wie folgt beantwortet: Ob sie vorliegt oder nicht lässt sich nicht pauschal beantworten. Vielmehr kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an: "Eine Zielvorgabe wird auf jeden Fall dann unmöglich, wenn so erhebliche Teile der Zielperiode abgelaufen sind, dass die Anreiz-, Motivations- und Steuerungsfunktion nicht mehr erfüllt werden und der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht mehr in ausreichendem Maß an den Zielen orientieren kann." (BAG a.a.O. Rn. 21 letzter Satz). Dasselbe gilt sinngemäß auch für Zielvereinbarungen.

Insofern wird ein Arbeitgebervertreter in der Praxis immer darauf aus sein, bei einer Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen für einen Arbeitnehmer Argumente dafür zu liefern, weshalb die Zielvereinbarung bzw. Zielvorgabe bereits frühstmöglich unmöglich war (beispielsweise unmittelbar mit Ablauf des Monats März). Denn in diesem Fall hätte die Ausschlussfrist für die außergerichtliche Geltendmachung bereits im April zu laufen begonnen und wäre bereits mit Juni des Jahres abgelaufen. Dann wäre eine Geltendmachung ab Juli bereits aussichtslos (wenn sich der Arbeitgeber auf die Ausschlussklausel beruft).


Demgegenüber werden Arbeitnehmervertreter in solchen Fällen nach Umständen des Einzelfalls Ausschau halten, die dafür sprechen, dass eine Zielvereinbarung oder Zielvorgabe auch noch wesentlich später hätte erfolgen können - die Rechtsfolge davon ist: Da der Schadensersatzanspruch erst später fällig geworden ist, konnte die Ausschlussfrist erst später zu laufen beginnen und die Geltendmachung des Primaranspruchs auf Zielvereinbarung oder Zielvorgabe ist vielleicht noch möglich. Insofern kommt es für Arbeitnehmer darauf an, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, der gewillt ist, die richtigen Fragen zu stellen und sich ein umfassendes Bild vom Sachverhalt zu machen, damit alle Umstände, die im Einzelfall für eine noch mögliche Zielvereinbarung bzw. Zielvorgabe sprechen, vom Gericht auch berücksichtigt werden können.


Für Arbeitgeber, die nicht auf eine Zielvereinbarung und Zielvorgabe hingewirkt haben, heißt das Rezept: Abwarten bis die Arbeitnehmerseite von sich aus aktiv wird und den Schadensersatzanspruch geltend macht. Wenn das innerhalb der arbeitsvertraglichen Fristen unterbleibt, werden Sie möglicherweise gar nichts mehr mit Blick auf die Bonusvereinbarung zahlen müssen (das bietet sich regelmäßig nur an, wenn man mit dem betroffenen Arbeitnehmer auch vor Rechtsstreitigkeiten nicht zurückschreckt, weil man das Arbeitsverhältnis langfristig nicht fortsetzen will). Viele Arbeitnehmer und ihre Anwälte zeigen sich insofern verwundert, wenn man sie auf den Ausschluss aufmerksam macht - in diesem Fall findet nämlich ein wichtiger Rechtsgrundsatz eine außergewöhnliche Ausnahme, die bei Bonusvereinbarungen mit Blick auf Zielvereinbarungen und Zielvorgaben in der Praxis jedoch den Regelfall darstellt: Der Sekundäranspruch wird normalerweise erst fällig, wenn das Schicksal des Primäranspruchs bereits geklärt ist. Wenn eine Zielvereinbarung bzw. Zielvorgabe jedoch schon während der Zeit, in der sie stattfinden sollten, jeden Zweck verliert, wird sie bereits vorher "unmöglich" gemäß § 275 Abs. 1 BGB. Dann kann ab diesem Zeitpunkt eben schon bzw. nur noch der Sekundäranspruch geltend gemacht werden, weil der Primäranspruch (zu einem manchmal alles anderen als klar ersichtlichen Zeitpunkt) nicht mehr erfüllbar ist. Insofern passiert es verhältnismäßig oft, dass man Arbeitnehmervertreter mit Blick auf verspätete Zielvereinbarungen bzw. Zielvorgaben "auf dem falschen Fuß" erwischt werden.


Klärungsbedürftig sind für Arbeitgeber vor diesem Hintergrund im Regelfall die folgenden Fragen:


1. Zu welchem Zeitpunkt ist höchstwahrscheinlich im konkreten Fall der Schadensersatzanspruch entstanden, weil Unmöglichkeit der Zielvereinbarung bzw. Zielvorgabe eingetreten ist (umso später dieser Zeitpunkt liegt, desto später kann die Arbeitgeberseite ihren Anspruch noch einfordern).


2. Entspricht die im Arbeitsvertrag befindliche Klausel den Vorgaben, die die höchstrichterliche Rechtsprechung an eine Wirksamkeit stellt? Ansonsten gibt es das Problem, dass die Arbeitnehmerseite ihren Schadensersatzanspruch auch noch innerhalb von 3 Jahren geltend machen kann und eine Geltendmachung nicht ausgeschlossen ist.


Zwei Punkte, die für Sie als Arbeitnehmer wichtig sind, wenn Sie betroffen sind, lauten: 


1. Sie können den Arbeitgeber selbst schnellstmöglich per E-Mail auffordern, ihren Schadensersatzanspruch mit Blick auf die unterlassene Zielvereinbarung bzw. Zielvorgabe für das laufende Jahr innerhalb von einer Woche auf das ihm bekannte Konto zu überweisen, auf das er auch die Vergütung einzahlt. Wenn Sie das tun, haben Sie - wenn die Ausschlussfrist noch läuft - bereits die erste Hürde genommen.


2. Die Wirksamkeit der Ausschlussklausel können Sie als rechtlicher Laie selbst nicht rechtssicher überprüfen - dafür sollten Sie unbedingt kurzfristig einen Arbeitsrechtler beauftragen, wenn Sie sichergehen wollen, dass keine Ansprüche auf Boni wegen mangelnder Zielvereinbarung oder Zielvorgabe ausgeschlossen werden. 

Jedoch kann es auch passieren, dass die Arbeitgeberseite Ihren Anspruch unmittelbar nach Ihrer Aufforderung (innerhalb der von Ihnen vorgegebenen Frist) erfüllt - dann bedarf es einer Prüfung, ob die Ausschlussfrist überhaupt eingegriffen hat oder nicht auch nicht mehr (außer vielleicht mit Blick auf die nachfolgende Zielperiode...). 


Übrigens können Sie Ihren Anspruch, wenn Sie wollen, nicht nur außergerichtlich, sondern (falls der Arbeitgeber die Zahlung außergerichtlich ablehnt) auch gerichtlich als rechtlicher Laie selbst geltend machen. Das betrifft die sogenannte "zweite Stufe" der Ausschlussklausel, die gerichtliche Geltendmachung Ihres Schadensersatzanspruchs - dafür brauchen Sie erstinstanzlich vor dem Arbeitsgericht rechtlich nicht zwingend einen Anwalt. Wenn das Gericht später feststellt, dass der Anspruch nicht besteht, weil eine Zielvereinbarung oder Zielvorgabe immernoch möglich ist, haben sie durch die Geltendmachung mit Blick auf den Bonusanspruch, der dann ja immernoch als Primäranspruch besteht, erst einmal nichts verloren (außer die Kosten des Verfahrens, die sich im Vergleich zu einem Verlust des Bonusanspruchs im völlig unproblematischen Rahmen bewegen). Natürlich kann es sich immer anbieten, besser einen Anwalt zu beauftragen, als Rechtsfragen als rechtlicher Laie selbst zu beantworten, wenn man Fehler bereits in der ersten Instanz vermeiden will, die sich ansonsten auch in der zweiten Instanz möglicherweise nicht revidieren lassen (gerade dann, wenn Sie eine Rechtsschutzversicherung haben).

 
 

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